EXPERTEN TALK – WIE WAHLWERBUNG UNS BEEINFLUSST

14. September 2021
online

EXPERTEN TALK – WIE WAHLWERBUNG UNS BEEINFLUSST

Der Club-Abend in der „Design Post“ in Köln stand ganz im Zeichen der Bundestagswahl. In Kooperation mit dem Marketing Club Köln – Bonn konnten die Mitglieder sich entscheiden, ob sie direkt vor Ort teilnehmen oder sich per Livestream dazuschalten wollten. Mit Markus Küppers von september Strategie und Forschung, Ina von Holly, Geschäftsführerin der Agentur WE DO communication und Vorstandsmitglied im Branchenverband GWA, Jens Lönneker von rheingold salon und Campaigning-Experte Julius van de Laar war die Expertenrunde hochkarätig besetzt. Moderiert wurde der unterhaltsame und spannende Abend, der für so manche Überraschung gut war, von Marktforschungsprofi Holger Geißler.

Auf der Agenda standen die Wahlwerbespots der im Bundestag vertretenen Fraktionen, die von den Experten analysiert und zuweilen filetiert wurden. Das Publikum konnte per Slido abstimmen, wie gut der Spot unabhängig von der eigenen Parteipräferenz funktioniert.

CSU

Der Spot der CSU zeigt alleinig Markus Söder und geht eben nicht auf Inhalte ein. Julius van de Laar fühlt sich an einen Hollywoodstreifen mit Clint Eastwood erinnert, nur trägt Söder keine Waffe, sondern einen Fahrradhelm. „Den Menschen wird suggeriert: Draußen ist es gefährlich, aber ich, der starke Vater, ich kümmere mich darum“, so der Politstratege. Ina von Holly hält den Spot für handwerklich gut gemacht mit gut geschriebenen Lines und starken Aussagen. In der Bildsprache irritiert sie der Spagat zwischen Natur und Wirtschaftsstandort. Markus Küppers weist darauf hin, dass Emotionen von Bildern leben. Das emotionale Versprechen sei jedoch leer. Es werde ausschließlich Markus Söder gezeigt, da komme emotional wenig rüber. In der Wahlkabine – anders sei das bei der Briefwahl – entscheiden letztlich aber die Emotionen. Die Inhalte, die Botschaft müsse emotional aufgeladen werden, damit Wähler*innen sich am Wahltag daran erinnerten. Jens Lönneker sieht in dem Spot die Etablierung einer Vaterfigur, die die bayerischen Wähler*innen gut abhole. Denn Studien, die er und sein Team durchgeführt hätten, zeigten, dass die Stimmungslage in Bayern sich durchaus von anderen Regionen der Republik unterscheide. Dass Söder keinen Bezug auf Armin Laschet nimmt, könne Kalkül sein. „Ich glaube, er versucht so viel Distanz zu Laschet zu schaffen, falls die Wahl am 26.9. schiefgeht“, mutmaßt Julius van de Laar. 47 % des Publikums beurteilten den CSU-Spot als mittelmäßig.

Bündnis 90/Die Grünen

Der Spot der Grünen sorgte zunächst für Stille im Saal und auch in der Runde. Auf die Melodie des Volksliedes „Kein schöner Land“ wurden die Kernaussagen der Partei getextet – und mehr schlecht als recht gesungen. Positiv daran sei, dass der Spot den Zuschauenden vermittele, Teil einer Bewegung zu sein. Das stellt Markus Küppers fest. Jeder und jede komme zu Wort, das sei emotional. Aber da weder Takt noch Versmaß stimmten und man versucht habe, das Volkslied für die eigenen Ziele zurechtzubiegen, fühle man sich auf den Arm genommen, weil der Spot an eine Kita-Aufführung erinnere. Auch Ina von Holly stellte bei sich und ihren Kindern, mit denen sie sich den Spot angeguckt hat, Ratlosigkeit, Irritation und auch Fremdschämen fest. „Das funktioniert nicht. Es fühlt sich falsch an“, sagt sie. Jens Lönneker fand den Spot – auch seine Kinder hielten es kaum aus, ihn zu Ende zu schauen – zudem handwerklich schlecht gemacht. Bei aller Kritik weist Julius van de Laar darauf hin, dass jedes politische Thema zumindest gestreift wurde. 47 % des Publikums fand den Grünen-Spot schlecht.

Die Linke

Der Spot der Linke sorgte für viel Diskussionsstoff. Während 66 % der Zuschauenden den Spot, der ohne Personen gedreht wurde, mit sehr gut oder gut beurteilten, fiel die Analyse der Experten eher negativ aus. Zwar seien alle Themen, wie Klima, Mindestlohn, soziale Gerechtigkeit etc., aufgegriffen worden, aber laut Jens Lönneker werden diese Politikfelder von allen Parteien beackert. Es fehle die Abgrenzung der Linke zu den anderen Parteien. Außerdem – aber das sei ein generelles Problem – werden die Methoden nicht genannt, wie ein Wandel erreicht werden könne. Insgesamt sei der Spot überfrachtet. Ina von Holly konstatiert, der Spot sei wohltuend anders und grenze sich von den anderen ab. Er funktioniere auch im Radio. Markus Küppers sieht das komplett anders und verweist auf die Bild-/Text-Schere. „Ich sehe nur Katastrophen, den Abgrund und im Hintergrund tickt die Uhr. Das ist klassische Angstwerbung, wie wir sie aus früheren Zeiten von Banken und Versicherungen kannten.“ Die Linke habe sich mit diesem Spot einen Bärendienst erwiesen. Julius van de Laar merkt an, dass der Film Angst schürt, aber in seiner Dringlichkeit, die er transportiere, funktioniere. Es fehlt jedoch, wer die Probleme wie lösen soll. Jens Lönneker bemängelt, dass der Spot zu schnell sei und man offenbar zu viel gewollt habe. 

FDP

Beim Spot der FDP, der einen nachdenklichen und engagierten Christian Linder in Schwarz-Weiß-Ästhetik zeigte, sei laut Ina von Holly jedes Bild, jeder Move genauestens durchkomponiert. Sie zählte über 40 Christian-Lindner-Einstellungen. Sie fragt sich: „Wo ist die Partei, wo sind die Wähler*innen, wo sind die Frauen?“ Während sich Markus Söder in dem Spot nicht bewegte, war Christian Lindner im Land unterwegs, er macht sich Gedanken, er hat die Lösung. „Aber ich kaufe ihm die Größe des Landesvaters nicht ab“, betont Markus Küppers. Und so fanden den wenig überraschenden Spot 45 % der Zuschauenden mittelmäßig, 34 % beurteilen ihn als gut und 17 % als schlecht gemacht. Jens Lönneker merkt an, dass Lindner unfreiwillig Werbung für die AfD mache, indem er mit der narzisstischen Selbstdarstellung alle Vorbehalte gegenüber der FDP bestätige.

AfD

Die AfD geht mit dem Claim „Deutschland.Aber normal.“ in den Wahlkampf. Ganz entgegen seiner Haltung zur AfD muss Markus Küppers mit Bedauern einräumen, dass der Spot richtig gut gemacht sei. Die Kreativen hätten dem Volk in die Seele geguckt und diese Stimmung in Bildern und Text eingefangen. Die Partei habe die Zeit nicht so weit zurückgedreht wie sonst, sondern möchte das „Normal“ der Vor-Corona-Zeit wieder herstellen. Die Zuschauer können sich mit dem hart arbeitenden „Normalo“ mit Namen Schmidt identifizieren. Der Kampf – „Wir gegen die“, Klein gegen Groß – wird aufgemacht. Ina von Holly zieht das Fazit: „Der Spot ist gut subtil gemacht. Er vermeidet Reizworte wie Lügenpresse. Stattdessen wird von Experten im Fernsehen gesprochen.“ Auch für Julius van de Laar funktioniert der Hauptdarsteller des Spots gut. Der „Average Joe“ humanisiere die AfD. Insgesamt 70 % der Zuschauenden waren der Überzeugung, dass der Spot gut, sehr gut oder ausgezeichnet funktioniere. Das war der höchste Wert.

SPD

„Scholz gibt sich staatstragend, krisenerprobt und steht für ein gemütliches ,Weiter so'“, so beurteilt Ina von Holly den Spot der SPD. Scholz stelle sich in die Tradition von Helmut Schmidt, zählt die eigenen Leistungen auf, macht konkrete Wahlversprechen. „Er nimmt die Wähler ernst. Er siezt sie.“ Erst beim Claim am Ende – gesprochen von einer Frau – werde geduzt. Für Julius van de Laar  ist der Spot solide und handwerklich gut gemacht. Scholz vermittelt durch sein langsames Schlendern Kompetenz und Respekt. Er wirke wie eine Verlängerung von Angela Merkel. Auch Markus Küppers kommt zu dem Schluss, dass der Spot funktioniere. Er vermittele die Botschaft:„Den kann man gut wählen.“ Das Wahlversprechen: 12 Euro Mindestlohn für 10 Millionen Menschen werten alle Experten als starkes Signal. Es erkläre, was in die Hand genommen werden müsse und was dies am Ende bringe. Jens Lönneker nimmt den „Duktus des Gemächlichen“ als Zeichen von Selbstbewusstsein. Es zeige: Scholz ist sich sicher. Er ist auf Kurs. Die Bilder zeigen ihn an der Seite von Menschen, die arbeiten. Es ist ein Mann aus dem Volk, nicht so abgehoben wie Lindner. Immerhin für 62 % der Zuschauenden funktionierte der Spot gut, sehr gut oder ausgezeichnet.

CDU

„Für die CDU ist dieser Spot eine Katastrophe“, sagt Jens Lönneker. „Er erscheint zunächst handwerklich gut. Alle Themen werden angesprochen, aber die Kreativen haben unfreiwillig die negativen Seiten herausgearbeitet.“ Angefangen bei Laschets Besuch im Bergbau – er hat als einziger Kohlenstaub im Gesicht – bis zu dem Satz: „Mein Vater war Bergmann und ich habe die letzte Zeche im Revier geschlossen.“ Das war für die Experten-Runde schon unfreiwillig komisch.  Markus Küppers betont, dass nach 16 Jahren Regierungsverantwortung gezeigt werden müsse, wie Deutschland nun von der CDU modernisiert werden könne. Das fehle im Spot komplett. Kritik erntete von allen Fachleuten die inflationäre Verwendung von Stock-Fotos. Das würde der Laie vielleicht nicht unbedingt sehen, aber spüren. „Das baut eine Distanz zum Betrachter auf“, so Ina von Holly. Jens Lönneker stört sich auch an der Aussage: „Wir können das“. Dies sei auch nur eine Variante des berühmten Merkel-Zitats „Wir schaffen das!“ Für 38 % der Zuschauenden war der Wahlkampffilm mittelmäßig, insgesamt beurteilten ihn 41 % als gut, sehr gut oder ausgezeichnet, während 21 % ihn schlecht fanden.

Im Anschluss an diese facettenreichen Analysen wurden noch zwei Beispiele für Negative Campaigning gezeigt. Danach wurde die Runde für Fragen und Anmerkungen geöffnet. Nach zwei intensiven und höchst interessanten Stunden ging dieser aufschlussreiche Talk zu Ende. Moderator Holger Geißler schließt mit der Aufforderung an das Publikum: „Gehen Sie zu Wahl“, was unter zustimmendem Gelächter von Julius van de Laar um die Worte ergänzt wurde: „Aber wählen Sie bitte nicht so, wie Sie hier abgestimmt haben.“

 

 

Text: Eike Birck

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