Dr. Ralf Strauß, Präsident des Deutschen Marketing Verbandes und Autor der „European Marketing Agenda 2021“ präsentierte anschaulich die Ergebnisse der Befragung von rund 4.800 Marketing- und Vertriebsleitern, die im Rahmen der European Marketing Agenda 2021 gemeinsam mit der European Marketing Confederation (EMC) jährlich befragt werden. Als wichtigste Themenstellung für 2021 wurde das „Digitale Marketing allgemein“, gefolgt von Aufgaben rund um das digitale Customer Relationship Management genannt. Dabei unterschied sich Deutschland in einigen Aspekten stark von anderen europäischen Ländern. Gerade in Anbetracht der Auswirkungen der Corona-Pandemie geht es hier nicht darum, das Budget zusammenzuhalten, sondern es ist der Wille erkennbar, digitale Themen im Bereich Marketing Tech anzugehen und zu implementieren. „Corona habe wie ein Brandbeschleuniger gewirkt“, sagt Dr. Ralf Strauß. Während Content Marketing und Storytelling als Schwerpunkte etwas verlieren, geht es künftig darum mehrere Themen parallel zu bearbeiten. Dazu gehört auch die Aus- und Weiterbildung. Die Schnittstellen von Marketing, Vertrieb und IT wachsen stärker zusammen. Das zeichnet sich auch beim cross-funktionalen Teamwork ab. Organisationen haben es immer stärker mit „Und-Aufgaben“ zu tun. So müssen beispielsweise die Herausforderungen des Tagesgeschäfts UND die Neuausrichtung zusammengedacht und gestemmt werden. Als Handlungsfelder der „Und-Aufgaben“ identifiziert Dr. Ralf Strauß u. a. Customer Experience, Purpose Driven Marketing, CRM, Nachhaltigkeit, Marketing Spend, Marketing-Organisation der Zukunft, Omnichannel, Marketing Tech & IT, Change Management und die Transformation zu Data Driven Marketing.
Mit der Frage, inwiefern die Corona-Pandemie ein Unternehmen wie Lego tangiert hat, leitet der Präsident des DMV über zu Florian Gmeiner, Senior Director Marketing EUC, LEGO. Entgegen dem Trend in der vorgestellten Studie steht für Lego nach wie vor das Brand und Story Telling im Fokus. „Wir wollen eine globale Antriebskraft für spielerisches Lernen sein“, sagt Florian Gmeiner, wobei er auch ausdrücklich die erwachsene Klientel mit Lego Arcitecture im Blick hat. Consumer Centricity, Technology und Brand Reach sind drei Bereich, auf die sich das Unternehmen vorwiegend konzentriert. So soll der Handel mitgenommen werden, um den Konsumenten zu erreichen. In Zeiten von geschlossenen Läden wurden dafür digitale Formate ersonnen, um den Spielplatz nach Hause zu bringen. Im Kontext der Corona-Pandemie beobachtete Florian Gmeiner, dass die Screen Time für die Kids zum Teil verlängert wurde. „Hier haben wir eine Verantwortung, eine sichere Umgebung zu bieten.“ Das bedeutet Daten nicht zu tracken. Die Brand Teams sind in einen agilen Kontext gegangen, um kurz- und mittelfristigen Ziele zu managen. Kooperationen mit z. B. Adidas oder Ikea seien erfolgreich gewesen, um die Reichweite der Marke zu erhöhen.
Dass die Corona-Pandemie einen Digitalisierungsschub für das eigene Unternehmen bedeutete, kann Kerstin Pape, Bereichsleiterin Customer Excellence, Mobilcom-debitel, bestätigen. „Schon länger war klar, dass wir digital wachsen wollen. Durch Covid 19 wurde dieses Ansinnen noch verstärkt.“ Die größte Herausforderung sei der Customer Service. Außerdem die Frage: Wie kann die Online-Vertriebsoberfläche gestärkt werden, um breiter aufgestellt zu sein. Das bedeutet, dass alle Maßnahmen mit der IT verknüpft sind, wie die Personalisierung und Automatisierung bei Angeboten bzw. die Option „Next best offer“ u. ä. Das Angebot zum Kunden zu bringen, seien technologisch herausfordernd. Weitere Themen sind Chatbots & Voice sowie die Entwicklung und Vermarktung von Apps. Die Bereiche Service und Sales wachsen enger zusammen. So wird am Service-Touchpoint Marketing gemacht und beim Verkauf gleich Service angeboten. Interdisziplinäre Teams sind gefragt. „Service, Sales und IT müssen eine Sprache finden und sprechen“, fasst Kerstin Pape die Herausforderung zusammen. „Das muss gesteuert werden, dann klappt das gut.“
Auch für Marcus Karst von der CLAAS KGaA mbH steht ganz eindeutig der Kunde im Mittelpunkt. Seine Aufgabe als Bereichsleiter Corporate Marketing ist es, hochautomatisierte und technologisierte Produkte im B2B-Bereich zu vermarkten. „Data driven Marketing darf kein Selbstzweck sein, sondern wir wollen unseren Kunden das Leben einfacher machen.“ So geht die Reise über das product über smart product, smart connected product, system of product bis hin zu system of system. Dabei müssen viele Parameter der Landwirtschaft im Blick behalten werden, insbesondere dass die Erntefenster durch das Klimageschehen (Dürre, Feuchte etc.) immer kürzer werden. Nicht nur die Branche ist im Wandel, sondern auch das Nutzerverhalten – die Customer Journey. 74 Prozent informieren sich bereits vor dem Kauf. Und wenn drei Viertel der Kundschaft diesen Weg schon zurückgelegt hat, stellt sich die Frage: „Wo begegnen wir dem Kunden? Wo informieren sie sich?“ Daher ist Content und das CRM hochwichtig. „Wir haben uns daraus resultierend gefragt, wie gut wir unsere Kunden wirklich kennen und wollten das Marketing horizontal und vertikal beleuchten.“ Unter Corona-Bedingungen musste die Reorganisation digital erfolgen: mit 35 cross-funktionalen Workshops, mit Menschen aus mehr als 16 Ländern mit 7 Präsentationen und 15 virtuellen Meetings. Eine straffe Leistung, die künftig auf drei Säulen beruht: Marketing Excellence, Performance Marketing und Integrated Campaign Approach. Die Organisation geht zum 1. März live.
Digitalisierung ist auch ein Thema für den Energiekonzern E.ON. „Die Energiebranche ist noch recht konventionell“, erklärt Dr. Philip Beckmann, Geschäftsführer/Vorstand E.ON Energie Deutschland GmbH. „Unsere Kundenbeziehungen, vorwiegend im Mittelstand, sind analog geprägt und leben von persönlichen Treffen.“ Aber auch hier hat die Corona-Pandemie Prozesse beschleunigt. Der Geschäftsführer spricht von einem „Time Warp“. Kunden informieren sich auf digitalen Kanälen, aber wechseln – wenn es zum Vertragsabschluss kommt – bewusst den Kanal zum persönlichen Kontakt. Daher gilt es, die Kanäle gut zu adressieren und den Wechsel reibungslos zu gestalten.
Als zweites wichtiges Thema, das im direkten Kontext zur Digitalisierung steht, sieht Dr. Philip Beckmann „purpose“. Das Wort „purpose“ wird im Deutschen mittlerweile für Sinnhaftigkeit verwendet. Überlegungen der Kunden, wo ihr Strom eigentlich herkommt bzw. erzeugt wird und die CO2-Neutralität spielen eine große Rolle. Dadurch entstehen neue Zielgruppen, die es mit dem entsprechenden Content anzusprechen gilt. Kunden werden aktiv eingebunden. „Dadurch wird das Unternehmen nahbarer und menschlicher“, erklärt der Geschäftsführer. Die grüne Effizienz für den Mittelstand sei eine spannende Transformationsgeschichte.
Auch Andreas-Christoph Hofmann, Vice President Marketing & Product (CMO), Hyundai, sieht eine Herausforderung im veränderten Kundenverhalten. So stehen nicht mehr die Produkte im Vordergrund, sondern der Kunde erwartet Mobilitätsangebote. Digitalisierung betrifft insbesondere die Produkte – Stichworte sind hier Connectivity, Elektrifizierung, autonomes Fahren oder Sharing – immer in Hinblick auf Nachhaltigkeit und gesetzliche Vorgaben. Dazu gehört, dass sich das Unternehmen am Aufbau der Elektro-Infrastuktur (beispielsweise mit Ladestationen) beteiligt. Hyundai hat rund 1.600 Händler in Europa, die vom Lockdown betroffen sind. Hier war es das Ziel, digitalen Content für die Partner und Händler anzubieten und sich möglichst gut darauf vorzubereiten, wenn es wieder losgeht. Bei der neuen Markenidentität liegt der Fokus auf Elektrifizierung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Die Muttermarke soll in den Köpfen der Menschen verankert werden und es gilt, die neue Submarke IONIQ zu positionieren und zu etablieren. Nicht mehr Volumen ist der KPI, sondern Marktanteil und profitables Wachstum.
Im Anschluss an die spannenden Kurzvorträge moderiert Dr. Ralf Strauß eine virtuelle Podiumsdiskussion, bei der Themen wie Nachhaltigkeit, purpose, 5G, die Bedeutung von Messen und Live-Events vertieft wurden. Nach zwei intensiven und höchst informativen Stunden ging das Webinar zu Ende. Aber langweilig muss keinem Marketing-Club-Mitglied werden, denn über die Website des DMV werden (fast) täglich spannende virtuelle Formate angeboten.
Text: Dr. Eike Birck
Kommentare zu den Veranstaltungen sind den Mitgliedern des Marketing Clubs OWL Bielefeld vorbehalten.