EMOTIONALES MARKETING – hochkomplexe Inhalte emotional transportieren

v.l.n.r.: Sabine Schoner (Kultur Räume Gütersloh), Max Rachals (Filmemacher, Autor und Produzent), Nils Hensdiek (Hilti Deutschland AG), Eric Adelt (IP Adelt GmbH) und Martin Hippe (1. Vorsitzender Mirame Arts e. V.) BN: Sarah Jonek
10. Juni 2024
Kultur Räume Gütersloh (Stadthalle, Friedrichstr. 10, 33330 Gütersloh)

Emotionales Marketing

Hochkomplexe Inhalte emotional transportieren

(Gütersloh, 10. Juni 2024) „Emotionales Marketing berührt die Menschen nachhaltig und bedarf nicht vieler Worte – ein großes Thema besonders im Bereich Film und Fernsehen, Image- und Werbefilm“, sagt Sabine Schoner. In ihrer Doppelfunktion als Gastgeberin der Kultur Räume Gütersloh und Präsidentin des Marketing Clubs Ostwestfalen-Lippe begrüßt sie gemeinsam mit Programmplaner Nils Hensdiek die Mitglieder und Gäste zu diesem spannenden Abend, der unter der Fragestellung steht: Wie schaffen wir es, schwere Inhalte für jeden verständlich in einem Imagefilm zu transportieren und dabei nachhaltig Emotionen zu wecken?

 

Als Referenten konnten Martin Hippe, 1. Vorsitzender von Mirame Arts e. V. und der renommiere Filmemacher Max Rachals gewonnen werden. Kennengelernt haben sie sich bei den Dreharbeiten zu einer ZDF-Produkion. Thema bei der Sendung „37 Grad“ war die der Öffentlichkeit kaum bekannte Krankheit ME/CFS, an der Martin Hippe schwer an erkrankt ist. Die Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue Syndrom ist eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die oft zu einem hohen Grad an körperlicher Einschränkung führen kann. Der  gebürtiger Gütersloher kennt alle Stadien von ME/CFS. Nach seinem Abitur studierte er in Münster Rechtswissenschaften und arbeitete sieben Jahre in einer Hamburger Medienrechtskanzlei. 2018 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand so massiv, dass er seinen Beruf aufgeben musste, denn jede Belastungssituation führt zu einer Verschlechterung des körperlichen Zustands – bis hin zur Bettlägerigkeit und künstlicher Ernährung. Meist dauert es sehr lange, bis überhaupt eine Diagnose gestellt wird, denn auch die Ärzteschaft hat ME/CFS nicht unbedingt auf dem Schirm, obgleich ME/CFS bereits 1969 von der WHO als neurologische Erkrankung eingestuft wurde. Die Erkrankung steht noch immer nicht auf den Lehrplänen der Universitäten für angehende Mediziner.

 

Das Thema zu den Menschen bringen

In Deutschland sind schätzungsweise 500.000 Menschen mit unterschiedlichen Schweregraden an ME/CFS erkrankt – davon 80.000 Kinder. Die Zahl hat sich seit der Corona-Pandemie verdoppelt. „ME/CFS ist wie die schwerste Form von Long Covid. 60 Prozent der Erkrankten sind arbeitsunfähig“, berichtet Martin Hippe, der gemeinsam mit anderen den Verein Mirame Arts, ein politisch aktivistischer Zusammenschluss, gegründet hat. Nach jeder Aktivität stellt sich ein Erschöpfungszustand ein, der Stunden, aber auch Wochen und Monate anhalten kann. Die Erkrankten können nicht aus dem Haus gehen, viele mangels Energie nicht aus dem Bett aufstehen und/oder sind auf einen Rollstuhl angewiesen. Für viele führt ME/CFS zu einer vollkommenen sozialen Isolation. Die Suizid-Rate ist hoch. Eine Therapie gibt es bislang nicht, Forschung und Aufklärung sind dringend nötig.

Mit dem Medium Film will der Verein Sichtbarkeit generieren und Spender*innen, Partner*innen und Mitglieder gewinnen. „Der Anker ist dabei das Emotionale“, sagt Martin Hippe mit Blick auf den rund drei Minuten langen Imagefilm. Hier kommt Max Rachals ins Spiel. Bei seiner Dokumentation für „37 Grad“ war Martin Hippe einer von drei Protagonisten, die das Kamerateam des erfahrenen Filmemachers über einen längeren Zeitraum begleiten wurde. In bewegenden Bildern wurde in dem 30-minütigen Beitrag gezeigt, wie ME/CFS das Leben der drei Menschen verändert hat. Nun stellte sich für den Filmemacher die Herausforderung, die Multisystemerkrankung verständlich und emotional einer breiteren Öffentlichkeit näherzubringen. 30 Minuten zu verdichten und auf etwas mehr als 3 Minuten runterzubrechen. Schnell war klar, dass die komplexen medizinischen Zusammenhänge nicht im Fokus stehen sollten, das Thema muss über eine Person, die sympathisch rüberkommt und die Breitschaft hat, sich in ihrem Alltag mit Höhen und Tiefen begleiten zu lassen, transportiert werden, um eine emotionale Bindung zu den Zuschauenden herzustellen. Das Ergebnis des Imagefilms kann sich sehen lassen. Er zeigt eindrücklich die zwei Leben der 19-jährigen Charlotte – vor der Erkrankung und jetzt. Charlottes Eltern kommen zu Wort und auch die Ärztin eines Kompetenzzentrums und eine Elternvertreterin. Gezielt werden an wenigen Stellen Tafeln mit Informationen eingeblendet. Der Film emotionalisiert, weil Charlotte authentisch berichtet, wie gravierend ihr Leben durch ME/CFS eingeschränkt ist. Und der Satz ihres Vaters bleibt im Gedächtnis: „Es könnte auch dein Kind treffen.“

Martin Hippe – früher oft als DJ unterwegs – hat die Musik zum Film komponiert, die das Geschehen einfühlsam unterstreicht. Der Imagefilm wandelt auf dem schmalen Grat zwischen Mitleid und Mitgefühl. Er emotionalisiert, bewegt und bleibt im Gedächtnis. Das Ziel ist eine Sensibilisierung von Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit. „Arbeitgeber müssen mehr über die Erkrankung wissen, damit ein Wiedereinstieg in den Beruf gelingen kann. Dafür braucht es zum Beispiel flexible Arbeitszeitmodelle, Ruheräume und die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten. Außerdem haben wir viele erkrankte Kinder, die nicht beschult werden. Dagegen müssen wir etwas tun“, betont Martin Hippe. „Wir verlieren unsere Kinder.“

 

 

Text: Eike Birck

Fotos: Sarah Jonek

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