(Bielefeld, 23.05.2022) Ein lebhafter Austausch fand schon vor dem Vortrag in den gemütlichen wie originellen Räumlichkeiten von Natives statt. Programmplanerin und Vorstandsmitglied Sabine Schoner ermunterte die Mitglieder und Gäste des Marketing Clubs Ostwestfalen Bielefeld, mit Themenvorschlägen und Ideen zu interessanten Speakern auf sie zu zukommen. Und mit einem spannenden Thema ging es auch gleich weiter.
Zu Gast war Walter Freese, Director Business Development der Interrogare GmbH, der ausgewählte Ergebnisse aus einer umfangreichen Eigenstudie vorstellte. Zur Einführung führte der versierte Marktforscher aus, dass in puncto Markenführung der USP nicht mehr so entscheidend sei, denn Produktvorteile würden austauschbarer, da sie von Mitbewerbern kopiert würden. Hierzu nennt Walter Freese als Beispiel das iPhone, das bei Markeneintritt seinerzeit tatsächlich bahnbrechend und einzigartig war, sich nun aber im Reigen vieler Smartphone-Anbieter behaupten müsse. Auch hätten Autos deutscher Hersteller schon vielfach einen chinesischen Zwilling. Wichtiger als die Bewerbung des USP sei mittlerweile der ESP (Emotional Selling Proposition) – kurz: das Emotional Branding. Aber auch in Sachen Emotionalität reiche eine gute Kommunikationsstrategie allein nicht aus. Baumärkte oder auch Lebensmittelmärkte wie Edeka verschafften sich mit aufwendig und ausgefallenen Spots Aufmerksamkeit, „aber vielfach gefällt den Menschen der Kurzfilm, aber sie wissen nicht, für welches Produkt beziehungsweise welche Marke geworben wird“, sagt der Director Business Development. „Wir als Marktforsche möchten wissen, was die Menschen wirklich denken. Was macht uns glücklich, traurig, neugierig etc.“
Emotionen sind der Schlüssel
Wie wir Menschen ticken, erläutert Walter Freese anhand eines Bildes von einem Eisberg. Die Spitze ist zu sehen, aber darunter liegt vieles im Verborgenen. Während das Sichtbare sinnbildlich für unser rationales – unser reflektiertes und bewusstes – Handeln steht, ist das Unsichtbare Synonym für das emotionale – das automatisierte und unbewusste – Handeln. Rationales Handeln (System 2) ist anstrengend und raubt Energie; unser System 1 nennt der erfahrene Marktforscher das „faule System“. „Der Mensch ist darauf konditioniert, Energie zu sparen.“ Für die umfragebasierte Marktforschung ist es die große Herausforderung, gerade das „unbewusste, faule System“ zu erreichen, das viele unserer Entscheidungen trifft.
Bei herkömmlichen Umfragen können viele Faktoren die Antworten der Befragten beeinflussen. Angefangen bei der Reihenfolge bzw. Positionierung der Frage über die soziale Erwünschtheit (Kaum jemand gibt bei Umfragen an, dass er oder sie eine radikale Partei wählt) bis zum „smart respondent“. Für seine Erklärung erntete Walter Freese zustimmendes Gelächter aus der gut gelaunten Runde: „Der smart respondent wird Ihnen auf die Frage, warum er Auto xy gekauft hat, erzählen, dass es sparsam im Verbrauch und nachhaltig sei, dabei möchte er eigentlich nur Brumm.“
Um aber herauszukitzeln, was Menschen wirklich denken, bedienen sich die Marktforscher von Interrogare bei Erkenntnissen aus der Neurowissenschaft: Schnelle Antworten auf eine Frage stehen für eine starke Assoziation. „Bei unseren Online-Befragungen legen wir den Befragten Bilder und Begriffe vor und messen die Reaktionszeit auf die Antwort, ob das Bild/der Begriff mit der Aussage übereinstimmt. Es gibt nur ,stimmt' oder ,stimmt nicht'. Weil wir den Befragten zwischen 40 bis 60 Bilder oder Begriffe vorlegen, die in einer Minute beantwortet werden müssen, gibt es keine Zeit zum Nachdenken.“Die Antworten in Kombination mit der Reaktionszeit werden in ein Emotionssystem einsortiert, das sieben Emotionen abbildet: Dominanz, Suche, Genuss & Lust, Freude & Spiel, Balance, Fürsorge, Skepsis & Sorge. Mit dieser Methodik arbeitet Interrogare bereits seit 13 Jahren und hat so schon mehr als 350 Marken analysiert und Auftragsstudien durchgeführt. Für die Eigenstudie, die im September 2021 durchgeführt wurde, haben die Bielefelder Marktforscher 100 Marken ausgewählt und 2.600 Menschen online befragt, um Antworten auf folgende Fragen zu finden:
Welche Marken und Branchen weisen die höchste Markensympathie auf?
Welches Emotionen des Emotionssystem werden getriggert?
Welche Wirkung (impact) haben die Emotionen in Bezug auf das Unternehmen?
Welche Verbesserungspotenziale ergeben sich daraus für das Marketing?
Zunächst ging es um die generelle Frage, welche Marken sympathisch sind. Dabei lagen dm, Lego, Rossmann, Milka, Miele, Siemens und Adidas an der Spitze. Unternehmen wie die Württembergische, Provinzial, norisbank, Telekom, Kik, DB, Monster Energy wiesen die geringsten Sympathiepunkte auf. „Drogeriemärkte schneiden immer gut ab“, sagt Walter Freese. „Sie appellieren an unsere Fürsorge (zum Beispiel mit Babyprodukten) und an unsere Balance. Wenn wir duftende Cremes oder Badezusatz kaufen, tun wir uns selbst etwas Gutes. Die Ergebnisse können pro Branche im Detail differenziert werden, wenn man beispielsweise dm mit Drogerie Müller vergleicht. So ist die Assoziation Fürsorge und Balance bei dm stärker ausgeprägt als bei Müller.“
Dasselbe könne auch für andere Branchen und Marken gemacht werden. Im Bereich Süßigkeiten ergab der Vergleich, dass bei Milka Emotionen, wie Balance und Genuss, getriggert werden, während bei Kinder-Produkten das Entdecken und die Fürsorge im Vordergrund stünden. Versicherungen werden häufig im erster Linie mit Dominanz assoziiert. Wird z. B. Allianz in erster Linie mit Dominanz verknüpft, z. B. durch ihr Sponsoring des FC Bayern München, ist das in puncto Sympathie eher abträglich. Für Markenverantwortlichen lassen sich aus den Erkenntnissen – Walter Freese nennt noch viele weitere Beispiele – wertvolle Schlussfolgerung für die eigene Marketingstrategie ableiten. Als Erstes: Wo stehe ich eigentlich mit meiner Marke? Was verbinden die Menschen damit? Wenn verstanden wurde, an welche Bereiche des Emotionssystems die Marke appelliert, kann die Kundenansprache – auch die Bildsprache – entsprechend angepasst werden. Kurz: Emotions are the key.
Nachhaltig – ja, aber was ist das?
Das Thema Nachhaltigkeit ist für Unternehmen Chance und Risiko zugleich. Die Befragung ergab, dass der Begriff selbst nicht klar definiert ist. Wird unter Nachhaltigkeit lediglich Klimaschutz verstanden oder sind es die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN, die darunter auch Zugang zu sauberem Trinkwasser, Kampf gegen den Hunger und Geschlechtergerechtigkeit fassen. Entsprechend diffus ist es, was die Befragten darunter verstehen.
„Beim Thema Konsum eröffnet sich eine große say-do-gap, eine Lücke zwischen dem, was die Menschen für richtig halten und dem, was sie tun“, so Walter Frees. Die Studie ergab, dass sich insbesondere ganz junge und deutlich ältere Menschen (mit höherem Bildungsniveau) intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen. So schnitt z. B. Nespresso bei den Sympathiewerten durch seine Alu-Kapseln schlecht ab.
Insgesamt werden Anstrengungen von Unternehmen von der Öffentlichkeit mit Argusaugen verfolgt. Darin liegen für Unternehmen Risiken. Wer nicht nachhaltig agiert, muss erst seine Hausaufgaben machen und dann damit werben.
Text: Eike Birck
Fotos: Stefanie Mork
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